Städtereise nach Berlin – Teil 4: Jüdisches Leben in Berlin – Spurensuche
Berlin ist die deutsche Stadt schlechthin, deren Geschichte, aber auch deren Gegenwart eng mit dem jüdischen Leben innerhalb der Bundesrepublik verknüpft ist. Nirgendwo sonst fanden Gräueltaten dieser Art statt. Nirgendwo sonst wirkt das aktuelle jüdische Leben derart präsent, wie in dieser Stadt. Ich habe mich auf Spurensuche begeben, wenn auch in einem zeitlich viel zu begrenzten Rahmen, was ich sehr bedauerlich finde. Dennoch konnte ich Eindrücke sammeln, von denen ich berichten möchte.
Eigentlich hätte ich gerne eine Führung zum jüdischen Leben innerhalb Berlins gemacht, doch leider fand ausgerechnet in dem Zeitraum, in dem ich die Stadt besucht habe, keine Veranstaltung dieser Art statt. Wenn Ihr eine solche Führung plant, dann solltet Ihr Euch zwecks Terminabsprache unbedingt frühzeitig an Ulrich Kratz-Whan, vom Kultur Büro Berlin, wenden. Doch wovon kann ich Euch berichten?
Es gibt eine Gedenkstätte, die nennt sich „Stille Helden“. Ihr findet sie in Berlin-Mitte, in der Rosenthaler Straße 9. Hier wird an Menschen erinnert, die während des Nationalsozialismus verfolgten Juden beigestanden haben. Berichtet wird über geglückte Rettungen, aber ebenso über missglückte Rettungsversuche. Ich finde keine Gedenkstäte hat einen so engen Bezug zu unserem heutigen Leben, wie diese.
Die hier vorgestellten Helden haben ihr Leben riskiert, um anderen, in Not geratenen Menschen zu helfen, und das unter schlimmsten gesellschaftlichen, wie politischen Verhältnissen.
Dieser Mut ist unvorstellbar und ich stelle mir unweigerlich die Frage, ob ich selbst ihn aufgebracht hätte. Ich erspare mir an dieser Stelle jegliche Mutmaßung, denn ich weiß, eine solche Frage kann man erst dann tatsächlich beantworten, wenn man unausweichlich mit ihr konfrontiert wird. Fragen, die ich mir jedoch durchaus stellen kann, sind die nach meiner heutigen, ganz aktuellen Zivilcourage.
Schaue ich weg oder greife ich couragiert ein und helfe dort, wo ich Not und Hilfebedürftigkeit wahrnehme. Denn genau das ist doch die Aufgabe, vor die uns eine solche Gedenkstätte heute ganz aktuell stellt.
Gebe ich dem Obdachlosen, an dem ich gedankenverloren vorbeihaste, eine kleine Spende, eine Kleinigkeit zu essen oder warme Kleidung oder tue ich einfach so, als ob ich ihn nicht wahrnehme? Mische ich mich ein, wenn irgendwo in der U-Bahn jemand bedrängt und belästigt wird, oder schaue ich angestrengt aus dem Fenster, um an der nächsten Station übereilt auszusteigen? Gehen mich die Probleme, Ängste und Sorgen anderer Menschen heute noch etwas an oder verstecke ich mich lieber hinter scheinbar ahnungslosem Nicht-Wahrnehmen?
Ich erinnere mich noch gut daran, als ich in der Schule zum ersten Mal etwas zum Thema Nationalsozialismus gehört habe und die damals Erwachsenen sagen hörte: „Von all dem hat man ja überhaupt nichts mitbekommen!“ Kann das wahr sein oder ist das eine Schutzbehauptung, um überhaupt mit der Tatsache dieser Massenermordung leben zu können?
Und drängt sich mir dann nicht unweigerlich die Frage nach dem Hier und Heute auf? Wie gehen wir in unserer heutigen Gesellschaft mit Not, Bedrohung und Verfolgung um, denn diese gibt es damals wie heute, wenn auch nicht in diesem Ausmaß …
Neue Synagoge
Die neue Synagoge findet ihr in der Oranjeburger Straße 30. Es handelt sich um ein beeindruckendes Gebäude, das man sich unbedingt ansehen und auf sich wirken lassen sollte. Was auffällt, es wird von Polizisten bewacht, der Bürgerstieg ist mit Flatterband abgesperrt, das Abstellen von Fahrzeugen jeder Art ist verboten. Wieder drängt sich die Frage nach den heutigen Verhältnissen auf. Wieviel hat sich tatsächlich geändert und was muss sich noch ändern, damit solche Vorsichtsmaßnahmen überflüssig werden?
Denkmal für die ermordeten Sinti und Roma
Das Denkmal befindet sich in einem kleinen Park zwischen Brandenburger Tor und Reichstagsgebäude, Simonsweg / Scheidemannstraße. Rundherum erinnern Gedenktafeln an die Ausgrenzung und Ermordung dieser Minderheit …
Holocaust-Mahnmal
Das Holocaust-Mahnmal liegt an der Cora-Berliner Straße 1, zwischen Brandenburger Tor und Potsdamer Platz. Ich bin mir gar nicht sicher, ob ich meine Eindrücke und Empfindungen wiedergeben soll oder ob es nicht so ist, dass jeder diese Gedenkstätte, die an mehr als sechs Millionen jüdische Opfer erinnert, selbst erleben und auf sich wirken lassen sollte?
Wie unvorstellbar diese Zahl der Opfer ist und genau das wird hier versucht, im wahrsten Sinne des Wortes begreifbar zu machen. Sechs Millionen Menschen, sechs Millionen leidende, weinende und qualvoll zu Tode gekommene Menschen! Sechs Millionen Leben, was für ein Potenzial, das hier einfach so aus reiner Willkür und vom Größenwahn getrieben, viel zu früh und gewaltsam den Menschen entrissen wurde, die es hätten leben und auskosten sollen! Wie soll man das begreifen?
Man muss sich auf das Denkmal einlassen, jeder für sich, in der Zeit und in der Ruhe, die jeder Einzelne braucht.
Doch auch das ist gar nicht so einfach. „Dieses Feld spricht die Sprache der Stille“ hat sein Architekt gesagt. Doch man muss schon sehr genau weghören und wegschauen, um der Stille gewahr zu werden. Es ärgert mich, dass es Menschen gibt, die sich auf den Blöcken (Stelen) in Szene setzen und fotografieren lassen. Ob ihnen bewusst ist, worauf sie da sitzen? Es gibt eine ausgeschriebene Besucherordnung für das Feld. Grundsätzlich erscheint es mir nicht notwendig, an einem solchen Ort Benimmregeln aufzustellen, doch angesichts dessen, was hier manche Menschen an Verhalten an den Tag legen, ist dieses Vorgehen wohl doch nicht ganz unbegründet.
Unter dem Stelenfeld befindet sich der „Ort der Information“. Hier werden u. a. die Namen und Kurzbiographien der 3,2 Millionen Opfer verlesen, die in der Gedenkstätte Yad Vashem, in Jerusalem gespeichert sind. Es gibt noch weitere Räume, die versuchen, das Unfassbare fassbar zu machen – zutiefst beeindruckend und ergreifend – und dennoch bleibt es, was es ist und immer sein wird – unfassbar vom menschlichen Verstand! Vielleicht müssen wir versuchen, es zu erfühlen, vielleicht kann es dann so etwas wie eine Annäherung geben …
Was soll ich noch sagen oder schreiben? Es ist leider nur ein kleiner Ausschnitt dessen, was es noch zu entdecken gibt und ich hoffe bald wieder Gelegenheit zu haben, mich auf weitere Spurensuche zu begeben.
Macht euch ein eigenes Bild, öffnet euch und lasst die Eindrücke auf euch ein- und nachwirken. Was ich für mich mitnehme? Ich bin dankbar für mein Glück, traurig über das, was geschehen konnte, und versuche Verantwortung zu tragen für mich und für die, die meinen Weg kreuzen … heute und jeden weiteren Tag.
Was sind eure Gedanken?
Der Vollständigkeit halber verweise ich hier auf weitere Berlin-Artikel:
Städtereise nach Berlin – Teil 1: Gute Planung für eine gelungene Städtereise
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